Hallo Anton,
es gibt schon lange nichts Neues mehr von dir. Keine neuen Texte, keine Blogeinträge, keinen Newsletter, und auch in den Social Media scheinst du nichts mehr zu machen.
Gibt es dich noch?
Grüße
Tobias
Lieber Tobias,
vielen Dank für deine Nachricht.
Ich weiß, dass deine Abschlussfrage etwas scherzhaft gemeint ist. Denn wahrscheinlich wirst du nicht davon ausgehen, dass es mich tatsächlich nicht mehr gibt. Wenn du diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen würdest, wäre es erstens etwas paradox, eine solche Frage an mich zu richten, und zweitens würde einer solchen Frage in der Tat ein ziemlich pragmatisches Verhältnis zur Vergänglichkeit zugrunde liegen. Aber wer weiß? – Wie auch immer, du wirst mir sicher verzeihen, wenn ich auf diese etwas launige Fragestellung relativ ernsthaft antworte.
Ja, es gibt mich noch. Aber es hat sich für mich etwas Entscheidendes in meinem Leben verändert.
Es könnte die Vermutung naheliegen, dass die Corona-Krise in irgendeiner Form mit meinem Schweigen zu tun hat, so wie momentan scheinbar alles immer nur mit der Corona-Krise zu tun hat. Das stimmt auch in diesem Fall; allerdings auf eine andere Weise, als man wahrscheinlich annehmen würde. Die Auswirkungen der Pandemie sind für viele Einzelschicksale und für ganze Wirtschaftszweige schlimm. Aber tatsächlich kann ich persönlich, als jemand, der sich ohnehin gerne etwas von der Welt zurückzieht und in seinem stillen Kämmerlein vor sich hin arbeitet, dem verordneten Zuhausesein durchaus Positives abgewinnen.
Durch die Lockdowns (insbesondere durch den ersten) sind streckenweise Zeitressourcen frei geworden, die vorher nicht da waren. Um noch mehr Zeit zu gewinnen, habe ich zusätzlich die üblichen Tätigkeiten, wie Blogartikel für indieautor.com zu schreiben oder in den Social Media präsent zu sein, ruhen lassen. Stattdessen habe ich während des ersten Lockdowns fast alle Energie in Selfpublishing-Veröffentlichungen unter geschlossenen Pseudonymen gesteckt. Dadurch habe ich meine Einnahmen in diesem Bereich deutlich steigern und den ersten Lockdown sogar zu meinen Gunsten nutzen können. Die Notwendigkeit, hin und wieder noch auf andere Weise Geld zu verdienen, ist somit etwas in den Hintergrund gerückt und ich konnte und kann auf diese Weise coronabedingte Honorarausfälle einigermaßen abfangen oder zumindest abmildern.
Was im Laufe des letzten halben Jahres stattdessen mehr und mehr in den Vordergrund rückte, war die zunehmende Pflegebedürftigkeit meines Hundes, einem Labrador-Husky-Mischling namens Tepek. Er ist jetzt tot. Und ich bin sehr traurig darüber.
Ich habe meinen Hund am 04.02.2021 einschläfern lassen, weil er an einer unheilbaren Krankheit namens Cauda Equina erkrankt ist. Dadurch kam es u.a. zu einer fortschreitenden Muskelatrophie in den Hinterläufen, so dass er etwa sieben Kilo Muskelmasse verlor. Es fiel ihm immer schwerer, aufzustehen oder sich hinzulegen. Oft stolperte er über seine eigenen Beine, manchmal stürzte er dadurch. In den letzten Monaten war es ihm nur noch mit einer Tragehilfe, durch die ich seine Hinterläufe unterstützte, möglich, unsere Runden zu machen. Außerdem wurde er zunehmend inkontinent.
Aber seine Lebenslust hat er bis zum Schluss nicht verloren. Er schnüffelte überall und wollte mit anderen Hunden spielen, trotz seiner mittlerweile 13 Jahre. Dass er nicht mehr konnte, schien ihm gar nicht bewusst zu sein. Auch schien er keine Schmerzen zu haben. Ihn einschläfern zu lassen, obwohl er offenbar noch leben wollte, war die bisher schwerste Entscheidung meines Lebens. Es ist, als hätte ich meinen Hund verraten. Voller Vertrauen folgte er mir zum Tierarzt. Und dort starb er in meinen Armen, nachdem es meine Entscheidung war, ihm die tödlichen Spritzen injizieren zu lassen. Ich werde nie den Anblick seiner stumpf gewordenen, entleerten Augen vergessen, als er vor mir auf dem Behandlungstisch lag.
Niemand, der nicht auch Hundebesitzer ist und sein Tier einschläfern lassen musste, wird verstehen, wie man den Tod eines Tieres so schwer nehmen kann. Ich weiß.
Alle sagen mir, es sei das Richtige gewesen. Aber dieses Gefühl will sich bei mir nicht einstellen. Kann es das Richtige sein, ein Wesen, das einem bedingungslos vertraut und leben möchte, töten zu lassen?
Während ich das schreibe, liegt der tote Körper meines Hundes in der Kühlung, bis er in ein paar Tagen eingeäschert wird. Noch ein paar Tage später werde ich die Asche meines Hundes in einer Kartonage überbracht bekommen. Nichts als Asche bleibt übrig von diesem wundervollen, schönen, liebenswerten Tier, das mir bedingungslos vertraut hat und überallhin gefolgt ist, ohne zu wissen, wohin. Auch dieses Mal.
Nichts ist mehr wie vorher.
Ja, es gibt mich noch. Aber meinen Hund gibt es nicht mehr. Und er fehlt mir. Und ich fühle mich schuldig. Weil ich ihn töten ließ. Dieses Gefühl der Schuld wird vermutlich nicht mehr weggehen. Es ist etwas, das nun hinzugekommen ist, als einer meiner Persönlichkeitsanteile, und das mich sicherlich in irgendeiner Form verändert hat und verändern wird. Noch weiß ich nicht, inwiefern. Was ich hoffe, ist, dass ich dieses Gefühl und diese Erfahrungen integrieren und nutzen kann, um daraus etwas Gutes entstehen zu lassen.
Es sind die Konfrontationen mit dem Tod, die einem deutlich machen, worauf es wirklich ankommt. Und dieser Verlust bestärkt mich darin, meine Lebenszeit nur mit Dingen ausfüllen zu wollen, die mir wirklich wichtig sind. Literatur, Musik, Kunst, Philosophie, Natur und die Liebe. Das Einzige, an das ich mich halten kann. Alles Oberflächliche und Belanglose soll verschwinden und mich in Ruhe lassen.
Ich werde sicher bald wieder anfangen, mehr von mir hören zu lassen und Neues zu veröffentlichen.
Pass auf dich auf.
Anton
Mensch ohne Hund